Ein Bauhaus-Tausendsassa



Erste Ausstellung über einen ”nicht ausreichend bekannten Künstler“ Von Peter Hartmann
Teodore Cernigoj mit einer Venedig-Zeichnung seines Vaters: ”Jetzt kommt deine Zeit“. Foto: P. Hartmann
HILDESHEIM. Ein Mann steht an dessen Geburtstag am Grab seines Vaters in Triest und sagt: ”Lieber Vater, jetzt kommt deine Zeit.“ Da ist der Vater, ein italienischer Künstler mit slowenischen Wurzeln, schon zwölf Jahre tot. Und der Sohn, ein ehemaliger Uno-Beamter, lebt in Rente. ”In aktiver Rente“ sagt Dr. Teodor Cernigoj, der Sohn. Und das heißt für ihn auch, nachzuholen, was dem Vater nicht lag. Denn es soll ja heute Künstler geben, die eher Marketing als Malerei können - bei August Cernigoj (1898-1985) war es umgekehrt.
Als bescheidener Künstler für viele Gelegenheiten und als Lehrer hat er gearbeitet, mehr als 3000 Kunstwerke hinterlassen: Von der komplett ausgemalten Kirche bis zu winzigen Miniaturen, die sich bei näherem Hinsehen dann sogar als Collage entpuppen. ”Ein Tausendsassa“, sagt der Sohn.
Man erkennt Anklänge an Feininger, Kandinsky, Klee, Mies van der Rohe. Kein Wunder. Sie alle gehörten zu den Lehrern Cernigojs. Der war nämlich der einzige Italiener, der als Student im legendären Bauhaus zu Weimar studiert hat. ”Er hat alles dort aufgesaugt wie ein Staubsauger“, berichtet der Sohn. Der UN-Krisenexperte, Mitarbeiter der Atomenergiebehörde in Wien und des Generalsekretärs Kofi Annan, pflegt das Andenken an den Vater.
Im Urlaub auf der Insel Malta lernte er eine Frau aus Baddeckenstedt kennen, besuchte sie und traf bei einer Veranstaltung der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Enzo Iacovozzi. Der in Hildesheim lebende Italiener erkannte die Chance, knüpfte Kontakte zum Bauhausmuseum in Weimar.
Es müsste doch zu machen sein, eine Ausstellung mit Werken des kunstgeschichtlich ungewöhnlichen Künstlers auf die Beine zu stellen! Iacovozzi hatte Kontakte zur Marienschule, die wiederum bemüht sich stets, ungewöhnliche Künstler auszustellen. Es fanden sich Sponsoren (Faguswerk, Studentenwerk Braunschweig), ein Festredner (Michael Siebenbrodt vom Bauhausmuseum Weimar) und ein Ausstellungsort: die lichtdurchflutete Choralei.
In dem praktisch quadratisch guten Raum, einem der ältesten der Stadt, kommen die kleinformatigen Bilder des Künstlers gut zur Geltung, passen auch rein optisch zu den kleinen Fenstern. Zu sehen sind Reproduktionen aus Weimar und Originale aus dem Besitz des Sohnes. Darunter Werke wie die Blitzzeichnung der venezianischen Kirche Santa Maria della Salute mit Filzstift. Teodore: ”Mein Vater brauchte für ein solches Bild nur wenige Minuten.“
Cernigoj ist keiner, den man übers Sofa hängt. Der ”noch nicht ausreichend bekannte Bauhäusler“ (Siebenbrodt) will genau betrachtet werden. Er war ein Meister des kleinen Formats. Ganze Bühnenbilder hat er entworfen, so groß wie vier Streichholzschachteln zusammen. Aber mit so vielen Details und skurrilen Einfällen, mit einer Klarheit der Gestaltung, dass man mit ihnen schon Generationen von Schülern den Begriff Bauhaus erklären konnte.
Dass das weit mehr war als eine Architektenschmiede, machte Siebenbrodt bei der Ausstellungseröffnung klar. Bauhaus - das sei eine Lebensauffassung. Das war, oder das ist eine künstlerische Welt, die bis heute ausstrahlt und aus der man bis heute auch praktischen Nutzen ziehen kann.
Und sei es der, dass es eine Grundlage fürs Ranking von Universitäten liefert: 30 Prozent der Bauhaus-Studenten waren Ausländer (in Thüringen heute: etwa sechs Prozent). Halb Europa kam in den Zwanzigern nach Weimar, um, wie es Cernigoj formuliert, ”vom zivilisatorischen Geist der Deutschen“ zu lernen. Nach ein paar Jahren dann war alles (fast) vorbei, zumindest in Deutschland. Cernigoj schlüpfte bei der Kirche unter, malte Gotteshäuser aus, gestaltete Intarsien.
Dass die erste deutsche Cernigoj-Ausstellung (eine weitere im Bauhausmuseum Weimar soll folgen) in einem romanischen Hildesheimer Kreuzgang eröffnet wurde, freute den Bauhaus-Experten Siebenbrodt. Schließlich sei das Bauhaus, sagte er, nicht wie ein Urknall entstanden, sondern es baute auf Traditionen gerade des Mittelalters auf.
Bis zum 19. Oktober in der Choralei der Marienschule montags bis freitags von 9 bis 14 Uhr über das Sekretariat zu besichtigen.
Artikel aus "Hildesheimer Allgemeine Zeitung" vom 20.09.2007