Home Archiv Pressearchiv Begegnung mit zwei Polit-Vögeln

Begegnung mit zwei Polit-Vögeln

PDFDrucken

PressespiegelBernhard und Hans-Jochen Vogel erklärten den Marienschülern auch, warum sie in zwei unterschiedlichen Parteien sind. Fotos: Kaiser
Hildesheim (ph). Schule, bekennt Günter Helmboldt aus der Marienschul-Leitung, sei eher eine trockene Sache. ”Man lernt eher aus Begegnungen“, fügt er hinzu. Die Schüler aus den Jahrgängen 11 und 12 begegnen im Kolleggebäude den Alt-Politikern Hans-Jochen (83) und Bernhard (76) Vogel. ”Deutschland aus der Vogel-Perspektive“ ist ihr Thema, und weil die Buchhandlung Decius den Termin vermittelt hat, lesen die beiden erst einmal aus ihrem gemeinsamen Buch vor.
Über Willy Brandt der eine (der Sozialdemokrat Hans-Jochen), aus dem Kapitel über die Schleyer-Entführung der andere (Christdemokrat Bernhard). Was die Schüler viel eher interessiert als die eher langatmigen alten Geschichten, verraten deren erste Fragen nach der obligatorischen über die Zukunft Europas. Wie kommt es, dass zwei Brüder in zwei unterschiedlichen Parteien aktiv geworden sind?
Der Krieg ist schuld, erfahren sie. Hans-Jochen Vogel hat ihn am eigenen Leibe erlebt, ist 17-jährig als verwundeter Soldat in Gefangenschaft gegangen. Als er zurückkam, gab es nur eine überlebende demokratische Partei, die SPD. Sein Bruder Bernhard: ”Ich verstehe, dass er sich dort engagiert hat.“
Er selbst dagegen ist politisch eher ein Kind der Adenauer-Ära, hat ”den Alten“ für seine Aufbauleistung bewundert. Einig sind sich beide: ”Für uns hat das keine große Rolle gespielt.“ Immerhin hat Hans-Jochen seinem Bruder einen Brief geschrieben, als der ihm seine Kandidatur für den Heidelberger Stadtrat mitteilte: ”Dass Du Dich politisch engagierst, ist mir wichtiger, als dass Du das in der falschen Partei tust.“ Heute, fügt Bernhard Vogel hinzu, ”nehme ich keine CDU-Beitrittserklärung mit, wenn ich meinen Bruder treffe.“

Zur neuesten Europa-Krise nach der Volksabstimmung in Irland vertreten beide die Meinung von Politikern, die nicht viel mehr erschüttern kann: Die Geschichte Europas sei eine Aneinanderreihung von Krisen. 1945 habe niemand in Deutschland daran geglaubt, einmal mit allen Nachbarländern in Frieden leben zu können und sicher zu sein, nicht wieder wie die Generationen davor einen Blutzoll auf europäischen Schlachtfeldern entrichten zu müssen. Europa sei, wie übrigens auch Deutschland, ”eine Erfolgsgeschichte“.
Welche ihrer Entscheidungen würden sie gerne revidieren, will eine Schülerin wissen. Bernhard weiß auf Anhieb mindestens zwei: ”Die Fachhochschule Thüringen würde ich nach Gera statt Erfurt legen. Und der Reform der Oberstufe an den Mainzer Gymnasien hätte ich nicht zustimmen dürfen.“ Aber er fügt schnell hinzu: ”In der Politik sollte man lieber zehn Entscheidungen treffen, meinetwegen zwei falsche darunter, als gar keine.“ Er erinnert an die Vereinigung. ”Deutsch wäre es gewesen, erst mal eine Kommission zu gründen, nach ihrem Vorsitzenden zu benennen und jahrelang tagen zu lassen.“ Zu seinen Grundsatz-Entscheidungen, sagt Hans-Jochen Vogel hinzu, stehe er. Nachdenklich fügt er hinzu: ”Aber da gibt es die Entscheidung damals im Fall Schleyer. Die muss ich bis heute immer wieder durchdenken. Es ist schon schwer, wenn man weiß, dass von eigenen Entscheidungen Leben oder Tod abhängen können.“ Nachdrücklich fordern sie ihre jungen Zuhörer auf, sich politisch zu engagieren. Schließlich betreffen politische Entscheidungen das ganze Leben. Ihr eigenes, sagt Bernhard in seltener Offenheit, dauert höchstens noch ein paar Jahre, ”bei Ihnen ist die Zeit viel länger“.

Artikel aus "Hildesheimer Allgemeine Zeitung" vom 18.06.2008




Gymnasium Marienschule Hildesheim
Brühl 1-3 | 31134 Hildesheim | Telefon: 0 51 21 / 91 74 0

News / Aktuelles

moodle